Cassie Vierundzwanzig – Erwacht!

Band 1

Hexenkrimi von Bridget Sabeth

 

Realträume

 

 

Mein Herz pochte wild, die Kehle fühlte sich eng an. Starr stand ich da, mit zittrigen Beinen auf einem hölzernen Podest und mit gefesselten Händen im Rücken. Ein Seil lag eng geschlungen um meine Taille. Ich wurde gehalten, vom Bürgermeister des Ortes – Wilhelm Wilmsdorf – persönlich, wie ein Stück Vieh, auf das man aufpassen musste, damit es auf dem Weg zur Schlachtbank nicht entlief. An seiner Seite standen der Blutrichter, Häscher und ernannte Zeugen, die darauf achteten, dass die Gerichtsbarkeit ordnungsgemäß durchgesetzt wurde.

So sollten meine letzten Minuten sein. Fassungslos schaute ich in zahllose Gesichter der Menschen, die mich umringten. Sie waren belustigt, gehässig, ein paar wirkten besorgt, ein kleines Mädchen weinte. Leute schrien, jubelten und verfluchten mich.

»Hexe! Hexe! Hexe!«

Sie streckten die Hände nach oben, hielten bedrohlich ihre spitzen Holzgabeln und Stöcke in die Luft, während mir der Atem stockte und ich nicht begreifen konnte, dass man mich anklagte und verhöhnte. Bis vor Kurzem hatte man bei mir Rat gesucht, mich um Heiltinkturen gebeten. Keiner Menschenseele hatte ich Unheil angetan, sondern stets geholfen. Die Räume mit Kräutern ausgeräuchert, um das Böse zu vertreiben, Wunden behandelt, Mensch und Tier gleichermaßen versorgt …

Zuvor schien sich niemand an meinem roten Haar und den leuchtend grünen Augen zu stören. Nun wurde ich deswegen verspottet!

Der Bürgermeister spuckte vor meine Füße, was die Menschenmenge juchzend zur Kenntnis nahm. Weshalb hatte ich seinen Zorn auf mich geladen? Oder wollte er mit aller Härte vorgehen, um sich in seinem neuen Amt zu profilieren? Erst vor wenigen Wochen war er von den Ratsmännern für ein Jahr gewählt worden.

Ich versuchte, eine Verbindung zu ihm aufzunehmen. Doch die Tage im feuchten dunklen Verlies steckten wie Eiskristalle in mir verankert, blockierten wie Splitter meine Intuition. In einer winzigen Nische hatte ich gekauert, in der ich nicht einmal die Beine langstrecken konnte. Verlor völlig Raum und Zeit und einiges an Gewicht, wie ich am flatternden Kleid erkannte, das sich dem aufkommenden Wind nicht erwehren konnte.

»Hexe! Hexe! Hexe!«

Etliche, die mit einem tiefen Hass auf mich starrten, waren unlängst dankbar für meine Fähigkeiten gewesen. Wehmut stieg in mir nach oben, verschleierte meine Augen. Ich lenkte meinen Blick in die Ferne, schielte auf den Wasserspiegel des tiefen Flusses. Ein einzelner Sonnstrahl hatte sich durch die dunklen Wolken hindurchgekämpft, brachte die nasse Oberfläche zum Glitzern. Trotz Erniedrigung war kein Zugeständnis über meine Lippen gekommen, sondern ich hatte obgleich meiner Schwäche wiederholt um das Wasserbad gebeten.

Alles war dafür vorbereitet. Und wie es enden sollte, wusste ich. Mit meinem Tod. Doch schien mir diese Art des 3 Sterbens angenehmer, denn ich würde ein schönes Grab bekommen. Kühl und nass, in ein durch Christi Taufe geheiligtes Element. Das gab mir kleinwenig Trost.

Nimm dein Schicksal an! Ich inhalierte die frische Luft, die den modrigen Gestank des Kerkers aus meinem Leib trieb. Ja, das tue ich! Ich spürte, wie die Eissplitter innerlich zerschmolzen, meinen Frieden nährten und mir die Kräfte zurückbrachten, für die ich seit dem Tag meiner Geburt gelebt hatte.

Der Bürgermeister ergriff das Wort und ließ die wartende Menge verstummen. »Wir werden heute die Wahrheit ans Licht bringen!«

Zustimmendes Grölen erklang.

»Mathilda Brandt.« Wilmsdorf linste zu mir. »Du wirst der Hexerei beschuldigt. Ein schweres Vergehen, das mit dem Tod geahndet wird. Gestehst du, dass du verbotenerweise Magie angewendet und dich der schwarzen Künste bedient hast?«

Schwarzen Künste? Ich blieb stumm. Meine Magie war gut und rein, die würde ich niemals verleugnen.

»Gestehst du, den bösen Blick eingesetzt zu haben?« Ich drehte mich ihm zu, kniff die Augen zusammen, was ihn hastig weitersprechen ließ. »Gestehst du, Kurpfuscherei betrieben und dich dem leidigen Teufel mit deinem Blut verschrieben zu haben?«

Sollte ich erwähnen, dass ich bei ihm vor einem Jahr einen Kräuterumschlag auf seine schwärende Wunde gegeben hatte? Ich legte den Kopf schief, konzentrierte mich auf das Bild, als er im Bett lag, matt und mit hohem Fieber – hilflos, wie ein Säugling. Ja, die Vision stieg klar 4 und deutlich auf! Lächelnd schickte ich sie ihm mit einem weißen Licht zu.

Wilmsdorf machte einen Satz zurück, als hätte er sich daran verbrannt. Wild gestikulierte er zu einem Büttel, damit der das Seilende übernahm. Er war einer von den Kerlen, die mir feige aufgelauert waren, während ich Pflanzen, Beeren und Pilze gesucht hatte, um meine Vorräte aufzufüllen. Erbarmungslos waren die Häscher vorgegangen, schliffen mich wie einen Holzstamm durch den Wald und steckten mich in den Kerker.

Ein Vogelgezwitscher drang an mein Ohr, als wollte es dadurch meine schweren Gedanken verscheuchen. Ich schloss die Augen, begann zu summen, versuchte damit die Schwärze und die Kälte, die von den Menschen ausströmten, nicht in mein Inneres zu lassen.

»Die ist verrückt!«, hörte ich einen Kerl rufen.

»Herr im Himmel, da habt ihr den Beweis, die Hexe beschwört den Teufel?!«, kreischte eine Alte und bekreuzigte sich.

»Die Angeklagte hat sich mit einem Sündenmal zwischen den Schulterblättern bezeichnen lassen«, warf der Blutrichter ein. »Als letzte Chance wurde ihrem Wunsch, sich der Wasserprobe zu unterziehen, stattgegeben, um sich von dem Verdacht reinzuwaschen.« »Bereust du denn deine Sünden?« Die Stimme des Bürgermeisters klang hektisch. Sünden? Wäre ich in einem Kloster geboren worden, hätten meine Gaben mich eher zu einer Heiligen gemacht. Ich antwortete nicht, sah auf, suchte erneut seinen Blick, dem er schnell auswich.

»Hexe! Hexe! Hexe!«, rief die umringende Menschenmenge.

»Somit wird das Hexenbad darüber entscheiden, wer oder was du bist!«, stieß Wilmsdorf hasserfüllt aus.

»Ja!«

»Hinein mit ihr!«

»Rasch!«

Ein Donnern erscholl. Der Wind intensivierte sich, zerrte am Stoff meines Kleides und dem losen roten Haar. Ich liebte die Natur, egal ob sie sich friedvoll oder bedrohlich präsentierte. Fühlte mich ihr so nah, ruhig und ruhelos zugleich. Mein Schicksal war längst besiegelt. Wenn ich schwamm, würde ich als Hexe gelten und bei einem Freudenfest für die anderen lebendig verbrannt werden. Da laut dem geltenden Gesetz bloß ein Feuer die verdorbene Seele einer Hexe reinigen konnte.

Sank ich wie ein Stein auf den Grund des Flusses, der jetzt im Frühling kühl und reißend war, wäre durch mein Ertrinken meine Unschuld bewiesen und ich bekäme ein würdiges Begräbnis.

Der Häscher stieß mich an, ein zweiter Kerl kam hinzu, packte mich grob, damit ich nicht fliehen konnte. Sie liefen mit mir über den Holzsteg, der extra für solche Wasserproben gebaut worden war. Die Leute klatschten. Schwankend wurde ich zu jener Stelle gebracht, an welcher der Fluss am tiefsten war. Grob zerriss der Häscher das Oberteil meines Kleides, entblößte mich, was die Menschen freudig kreischend zur Kenntnis nahmen. Ich stierte auf die Wasseroberfläche. Wie teilnahmslos ließ ich es zu, als sie kreuzweise meine Füße und Hände zusammenbanden. Währenddem trieb der Wind wie ein freudig erwartender Willkommensgruß über meine Haut, verbreitete Hoffnung in mir, dass bald meine Seele durch die Lüfte emporsteigen würde, befreit von jeglicher Schande und Schmach.

Das Seil wurde ausgerollt, im oberen Bereich über einen Holzpfosten geschwungen und fixiert. Wenn ich versank, konnte man so später mühelos meinen toten Leib an die Oberfläche ziehen.

»Hinein mit ihr!«

»Hinein mit ihr!«

»Hinein mit ihr!«

Verschnürt kauerte ich am Rand des Steges. Ich spürte einen ersten Regentropfen durch mein Haar auf die Kopfhaut sickern. Ein nasser zärtlicher Kuss des Himmels. Danke, für mein Leben! Ich bin ein Teil der Schöpfung und werde ein Teil der Urkraft bleiben. Bis in alle Ewigkeit.

»Macht schon, bevor die Mächte der Natur der Hexe zu Hilfe kommen!«, polterte Wilmsdorf.

Ein fester Hieb brachte mich aus der Balance. Obwohl ich darauf gewartet hatte, holte ich instinktiv Luft, klatschte kaum später mitten in das kalte Wasser und wurde in einem Strudel hinuntergezogen.

Ich zerrte an den Seilen, die sich unerbittlich in meine Gelenke gruben und mich handlungsunfähig machten. Wie lange konnte man den Atem anhalten? Kämpfen oder aufgeben?

Auf einmal tauchte in dieser Tiefe ein Schatten auf. Halluzinierte ich? Nein, da war ein Kerl – direkt vor mir, mit einem Messer zwischen den Zähnen. Er steuerte das Seil an, durchschnitt meine Fesseln. Ich spürte, wie mir der Atem eng wurde, der Brustkorb zu brennen anfing. Da legte er seine Lippen an meinen Mund, blies etwas von der wertvollen Atemluft in meinen Körper. Schon griff er nach meiner Hand, zog mich unter dem Wasser weiter, nah am Boden über den Steinen entlang, damit die wirbelnden Strudel uns weniger anhaben konnten und wir schneller vorwärtskamen.

Bald hab ich keine Luft mehr!

Ich spürte, wie mein Kampf, ihm zu folgen, mich schwächer werden ließ. Wo wollte er mit mir hin? Ich musste an die Oberfläche. Atmen! Doch da würden die Leute uns sehen! Bestimmt war schon das lose Seilende an die Oberfläche geschwommen.

Sein Griff umschloss mich eisern, er hatte offenbar ein anderes Ziel. Da sah ich es, vor uns lag eine Höhle, der Eingang verborgen im Fluss.

Kämpfe!, schrie in mir eine Stimme. Nur mehr ein paar Fuß! Ich konnte den Zwang, einzuatmen, nicht länger unterdrücken. Blasen blubberten aus meinem Mund und Wasser hinein.

 


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