Etappe 15 – Der Weg der Spiritualität. (Neu überarbeitet)
04.06.2014 – 25 Kilometer von Castrojeriz bis nach Fromista. Erneut werde ich von der Sonne verwöhnt, aber das
Städtchen Castrojeriz hat noch jede Menge Eindruck hinterlassen.
Es ging ohne Frühstück los, die Bars und Geschäfte hatten noch geschlossen. Kristi und Chris sind bei mir, als ich das Kriterium des heutigen Tages in Augenschein nehme. Den steilen Anstieg auf den Tafelberg, gleich nach Castrojeriz. An die 100 Höhenmeter sind zu überwinden, in einem kurzen Abschnitt. Kristis Notration muss herhalten. Bestehend aus Feigen, getrockneten Pflaumen und Nüssen. Ich habe noch Traubenzucker und gebe jedem ein Stück davon, er soll für zusätzlich Kraft den Hügel hinauf sorgen. Mittlerweile esse ich so wie es der Weg zulässt. Ich bunkere nichts auf Vorrat. Wichtig ist nur die Wasserflasche zu füllen, an den Brunnen in den Ortschaften die man morgens verlässt. Das Abendessen fällt aber stets üppig aus. Eine große Vorspeise die einer Hauptspeise in nichts nachsteht, dann die Hauptspeise selbst und eine Nachspeise. Dazu gibt es Wein und Wasser. Zuhause würde ich solche Portionen niemals verdrücken können. Hier fällt es mir leicht und ich nehme sogar noch ab.
Der Aufstieg ist kräfteraubend und unsere Unterhaltung versiegt. In mir kehren sich Erinnerungen an gestern Abend hervor. Der Besuch bei Mia und Mau, deren Heim und der Zauber der sich über all das gelegen ist. Etwas davon hat sich festgesetzt, tief in mir und begleitet mich fortan. Der Tafelberg ist erklommen und eine ausgedehnte Hochebene führt nur langsam auf die ursprünglichen Höhenmeter zurück. Unsere Schatten sind langgezogen und eilen uns viele Meter, in der tiefstehenden Sonne hinter uns voraus. Die Gegebenheit drängt mich Fotos zu schießen, mehr als meine beiden Freunde und ich falle einige hundert Meter hinter sie zurück. Um ihnen nachzukommen, gehe ich bereits los, während ich noch meine Kamera verstaue. Der Trekkingstock gerät mir dabei zwischen die Beine und ich falle kopfüber, den aufgerauten Betonguss hinab. Der Aufprall auf diesem Untergrund ist hart und trifft genau mein linkes Knie. Diesmal die Kniescheibe und ich erfahre gerade, dass noch nicht alle Nervenbahnen, die das Knie umgeben abgestorben sind. Aufs Neue durchzieht mich ein höllischer Schmerz und mein Gesicht verkrampft sich. Schweißperlen bilden sich und laufen meinen Nacken hinab. Ein roter Punkt bildet sich an der Stelle der Jeans, die sich über das Knie spannt. Ich stehe wieder, strecke und beuge das Bein, reibe mit der Handfläche an der Kniescheibe und siehe da, der Schmerz lässt nach, er verringert sich auf ein erträgliches Maß. Ich betrachte die Kerbe in meinem Fotoapparat, der bei meinem Sturz auf den Beton geschlagen ist, mache Fotos, alles in Ordnung. Es geht weiter.
An einem Pilgerhospiz, das einsam entlang des Camino steht, treffen wir schließlich alle zusammen. Während Steve, Gina und Chris, gleich wieder weiter marschieren, bleibe ich noch ein wenig, mit Sherri und Kristi. Auf einer großen Tafel aus Holz steht geschrieben, „San Nicolas de Puentelitero – Hospital de Peregrinos“. Ein etwa 10 Meter langer und 1 Meter breiter Tisch, füllt den Raum zur Mitte. Im vorderen Teil spannt sich ein Altar um die Mauer und rückwärts befinden sich Betten an den Wänden. Acht Pilger finden hier Platz und in der Hauptreisezeit sind die Betten auch ständig belegt, erfahre ich von einem Mann in eine braune Kutte gehüllt. Das Gebäude erfüllt den Zweck eines Hospiz und einer Kirche. Es wurde in den letzten Jahren aus den Überresten der vergangenen Jahrhunderte, neu aufgebaut. Strom gibt es keinen, dafür gibt es am Abend eine rituelle Fußwaschung und bei der Zubereitung des Abendmahls kann mitgeholfen werden. Ich denke, es wird aber noch genügend Energie in den Akkus der dort nächtigenden Pilger vorhanden sein, um ihre Eindrücke in die moderne Welt zu transportieren.
Unser Etappenziel ist heute Fromista. Carlos, der Besitzer der Albergue El Afar, den wir jetzt zufällig nochmals treffen, reserviert für uns Betten in einer netten Albergue, wie er sagt. Er schreibt uns den Namen auf und zeichnet auch eine Wegbeschreibung. Dies erlaubt uns einen ausgedehnten Halt in einer kleinen Ortschaft davor, wo wir erneut zusammentreffen. Ein grüner Gastgarten lädt uns ein und die Sonne umschmeichelt uns. Kurz vor 16:00 Uhr erreichen wir schließlich geschlossen Fromista. Die Albergue ist leicht zu finden, doch hält sie eine Überraschung für uns bereit. Sie ist voll, kein einziges Bett ist mehr frei. Wir erfahren nun, dass Reservierungen nur bis längstens 15:00 aufrechtgehalten werden. Es sei denn, man weist darauf hin später zu kommen, was Carlos natürlich nicht gemacht hat. Wie sollte er auch. Wir haben ihn gegen 13:00 Uhr getroffen, 8 Kilometer vor Fromista. Konnte er ahnen, dass wir 2 Stunden in einem Gastgarten verbummeln? Nach mehreren Leerläufen haben wir dann doch noch eine Schlafmöglichkeit gefunden, die letzte wie es scheint, denn auch die Hostels waren restlos ausgebucht. Maria, die Besitzerin eines dieser Hostels hat uns schlussendlich ein ganzes Haus vermietet. Sie hat sich uns erbarmt. Normalerweise vermietet sie es nur auf mehrere Tage. Auch wenn wir 22,00 Euro pro Person bezahlen, sind wir ihr dankbar dafür. Wir haben unsere Ruhe und können einmal richtig ausspannen. Ich erzähle von meinem Missgeschick am Vormittag, als Gina das Blut an meiner Jeans entdeckt, während sie die Waschmaschine füllt. Wir gehen gemeinsam Essen und genießen den Sonnenuntergang auf einer Terrasse, bei Rotwein.
Erkenntnis des Tages: Nichts ist in Stein gemeißelt.
Tag 16: Carrion de los Condes